Wir waren uns nie sonderlich nah.
Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, wie ich im Bett meiner Eltern lag und mein Vater reinkam und seine Sachen gepackt hat. Da war ich drei. Die erste Zeit nach der Trennung meiner Eltern sah ich meinen Vater jedes zweite Wochenende. Ich weiß noch, wie wir Kinder am Wohnzimmerfenster standen und warteten, dass Papa mit seinem Auto auf den Hof fuhr. Am ersten Heiligabend nach der Trennung klingelte mein Vater unangekündigt und brachte uns Geschenke vorbei. Meine Mutter war stinksauer, das weiß ich noch. Ansonsten war ich zu klein, um wirklich mitzubekommen, was ablief. Meine acht Jahre ältere Schwester war allerdings mittendrin in der Scheidungsschlacht.
Als ich gerade sieben war, zog meine Mutter mit uns zu ihrem neuen Lebensgefährten 400 Kilometer gen Norden. Einzig meine Schwester blieb im Emsland, weil sie nicht die Schule wechseln und ihr Umfeld verlassen wollte. Sie lebte dann bei meiner Oma, mein Vater wohnte in der benachbarten Kleinstadt. So kam es, dass ich aufwuchs und zwar ab und an mit meinem Vater telefonierte oder auch mal Briefe schrieb, aber öfter als ein-, zweimal im Jahr sahen wir uns nicht.
Das änderte sich auch nicht, als ich schließlich „erwachsen“ wurde und mein eigenes Leben führte. Wir telefonierten zu Geburtstagen oder wenn Papa gerade mal wieder einen ruhigen Sonntag hatte und sein Telefonbuch abtelefonierte.
Trotzdem war er immer für mich da. Ganz schnöde durch Unterhaltszahlungen, ohne die ich niemals hätte studieren können, aber auch als es darum ging, während des Studium in eine neue WG zu ziehen. Papa kam mit einem großen Auto, hatte vorher schon im Möbelladen gehalten und einen Schrank und ein Bett mitsamt Lattenrost und Matratze für mich gekauft und wenige Stunden später war ich mit meinen paar Sachen in der neuen Wohnung eingerichtet. Wir sind keine sehr demonstrative Familie, die oft über Gefühle redet, aber manchmal sprechen Taten halt auch lauter.
Mein Vater war Berufssoldat und lange Zeit Mechaniker an Bord von Hubschraubern – bis er einmal mit einem abstürzte, was er knapp überlebte. Spätfolge war eine traumatische Belastung des Lungenapparats, die ihn zusätzlich zu seinem Asthma schwer einschränkte. In den vergangenen Jahren wurde es immer schlimmer, zum einen das fortgeschrittene Alter, zum anderen der jahrelange Einsatz hoher Dosen Cortison schwächten ihn sehr. Man merkte in Gesprächen, wie sehr es ihn nervt, dass sein Körper ihn so in Stich lässt, dass er irgendwann ständig auf das Sauerstoff-Gerät angewiesen war, dass seine Bewegungsfreiheit immer stärker eingeschränkt wurde.
Ende März besuchte ich ihn. Mir wurde schlagartig klar, dass es wohl das letzte Mal ist, dass ich ihn sehe. Auch wenn meine Schwester mich vorgewarnt hatte, mit eigenen Augen zu sehen, wie schwach Papa war, wie sehr es ihn anstrengte, einfach zu sitzen oder zu essen war eine Realitätskeule. Und doch bin ich unglaublich froh und dankbar, dass ich da war. Die Freude in seinen Augen, als er mich sah, machte es mir vielleicht das erste Mal in meinem Leben bewusst, wie stolz mein Vater auf mich und meine Geschwister ist, wie sehr er uns liebt.
Papa, jetzt hast du es geschafft, bist von den dauernden Schmerzen erlöst. Ich hätte gerne noch mehr von dir erfahren, mehr mit dir geredet, unser Verhältnis war halt, wie es war. Ich liebe dich und ich werde dich unendlich vermissen. Mach’s gut!
In memoriam Hartmut Hufschmidt (24.12.1939 – 01.06.2019)
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