Es brodelt. In mir. In der Fanschaft. Im Umfeld. Wie könnte es auch anders sein, wo wir doch gerade wieder in dieser Schleife gefangen sind. Der HSV ist das Paradebeispiel für eine self-fulfilling prophecy. Wir unken auf Teufel-komm-raus, nur um uns am Ende hinstellen zu können, dass wir es doch schon immer gewusst und gesagt haben, wir sind schon tolle Experten. Nächster Schritt: Alles anzweifeln, Fokus auf das Negative, mit der Schlussfolgerung, dass Köpfe rollen müssen.
Ich habe keinen Bock mehr auf diesen ewigen Kreislauf. Ich halte Jonas Boldt weiterhin für die beste Verpflichtung, die der HSV in den 10er Jahren getätigt hat, also kommt jetzt die Verteidigung (auf mehr als 280 Zeichen).
Entwicklung. Das große Stichwort, das wir seit zwei Jahren hören. Hat sich der HSV in der Zeit entwickelt? Ich sage: ja.
Auf seiner ersten MV im Januar 2020 sagte Boldt, dass ihm der Nachwuchsbereich sehr am Herzen liegt, er bis dahin noch zu wenig Zeit hatte, sich drum zu kümmern, er es aber schnellstmöglich mit Nachdruck angehen wolle. Ich weiß noch, wie Sven und ich dem gelauscht haben und beide dachten, dass das doch wohl eher Floskel war. Ein halbes Jahr später präsentierte Boldt dann einen neuen Nachwuchsdirektor, mit dem niemand gerechnet hat, weil wir alle wussten, dass der nicht ohne volle Überzeugung mitmachen würde. Horst Hrubesch.
Da war es also, das Konzept, wie der HSV sich mittel- bis langfristig aufstellen will. Junge Spieler fördern, Werte schaffen, Bereitschaft fordern. Dazu die Ansage, dass man ja viel erzählen könne, es letztlich aber vorleben müsse.
Es ist ein schmaler Grat, auf den Jonas Boldt sich da begeben hat, auch weil er viele Strömungen unter einen Hut bringen muss und sich nicht von allen Zwängen frei machen kann. Er kann nur versuchen, vieles zu erklären und so möglichst viele Leute zu überzeugen und mitzunehmen auf dem Weg. Wenn er sagt, dass für ihn der HSV eine der größten Herausforderungen im deutschen Fußball sei, dann glaube ich ihm das, denn es gibt weiterhin unglaublich viel zu tun. Waren alle seine Entscheidungen richtig? Mit Sicherheit nicht. Konnte Boldt die Entscheidungen logisch erklären? Ja.
Und das ist für mich ein sehr entscheidender Pluspunkt für die Arbeit von Jonas Boldt. Er erklärt viel, kommuniziert gut (wenn auch manchmal etwas dünnhäutig) und dadurch wirkt die Arbeit der Führungsriege transparenter als je zuvor. Die Entlassung von Daniel Thioune tat mir menschlich sehr weh, aber ich konnte es sportlich nachvollziehen, warum die Entscheidung so getroffen wurde. Boldt wirkt auf mich nicht wie so viele Selbstdarsteller vor ihm, er betont immer wieder das Team, vermag es Verantwortung abzugeben, um sie trotzdem in letzter Konsequenz zu tragen und Entscheidungen und Maßnahmen des Teams zu verteidigen. Gleichzeitig wirkt der Klub auf mich menschlicher und nahbarer als jemals zuvor, vielleicht durch die Transparenz, vielleicht durch die bedingungslose Unterstützung von Bakery Jatta, vielleicht weil die junge Mannschaft mit ihrer Leidenschaft so viel Identifikationsraum schafft, vielleicht weil so viele (auch kleine Detail-) Entscheidungen richtig erscheinen. Wahrscheinlich von allem ein bisschen.
Ich bin in meinen Herzensverein so verliebt wie schon lange nicht mehr, da ist es auch egal, ob wir aufsteigen oder Platz 4 belegen. DAS ist für mich die wichtigste Entwicklung in den vergangenen drei Jahren. Irgendwann vor ein paar Jahren habe ich beschlossen, neuen Führungskräften beim HSV keinen Vorschuss mehr zu geben, sondern zunächst neutral abzuwarten und zu gucken, ob sich jemand die Lorbeeren verdient.
Jonas Boldt hat das geschafft.
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