Tanja ist auf den ersten Blick eine unauffällige Frau mittleren Alters. Nur die tiefen Augenringe geben einen Hinweis auf ihr düsteres Geheimnis. Sie sagt, sie rutschte da einfach so rein, konnte sich nicht wehren. Und jetzt, 30 Jahre später, findet sie keinen Ausweg mehr. Tanja ist HSV-Fan.
„Es begann alles ganz harmlos. Mein Stiefvater nahm mich mit ins Stadion, eine harmlose Sonnabend-Beschäftigung – eigentlich.“ Doch an diesem Sonnabend im Juni 1987 sollte der HSV seinen bis dato letzten großen Titel holen, den DFB-Pokal. „Ich wusste nicht viel von Fußball, aber in dem Augenblick war es um mich geschehen. Hätte ich geahnt, was das aus mir machen würde…“
Tanjas Stimme wird in diesem Augenblick brüchig, ihr Blick schweift ab, dann erzählt sie leise weiter: „Anfangs war alles noch gut. Auch wenn die 90er keinen Fußball zum Zungeschnalzen boten, fühlte ich mich heimisch, wenn ich mit meiner Dauerkarte das Volksparkstadion betrat. Es war alles jenseits von Gut und Böse, manchmal ging der Blick ängstlich nach unten, aber es gab auch Ausreißer nach oben. Ich beschäftigte mich noch nicht mit Vereinspolitik, Fankultur war noch nicht erfunden, es war im Grunde ein sorgenfreies Fan-Dasein, eine schöne Zeit.“
Einmal hätte Tanja fast den Absprung geschafft. „Es war Anfang des Jahrtausends. Die Trainer hießen Jara und Toppmöller. Ich lebte in Hannover, und die räumliche Trennung schien zu helfen. Aber dann kam Thomas Doll, dem ich schon zu seinen Spieler-Zeiten zugejubelt habe und formte eine Mannschaft, die plötzlich oben mitspielte, sogar die Champions League erreichte.“ Wieder wurde Tanja in den HSV-Sog gezogen und es kam sogar noch schlimmer: „Ich begann auch noch mich für Vereinspolitik zu interessieren, dazu kam die neue Ultra-Kultur, die das neue Stadion zum Hexenkessel machte.“
„Zu allem Überfluß zog ich dann irgendwann auch wieder nach Hamburg, bekam sogar sofort eine Dauerkarte und war plötzlich wieder im Fanblock zuhause, fand dort Freunde. Doch der Erfolg war schon weitergezogen und es zogen dunkle Wolken über Hamburg auf.“ Die dunklen Wolken brachten Abstiegskampf, Überlebenskampf, Grabenkämpfe rund um die Ausgliederung. „Es kostet verdammt viel Kraft.“
Aber es war alles zu spät, Tanja war gefangen in der Liebe zum HSV. „Wie oft stand ich im Stadion und fragte mich, warum ich mir das eigentlich immer noch antue. Wieder am Abgrund, wieder ein neuer Trainer, immer neue Idiotien von allen Seiten. Aber ich komme nicht davon los. Andere aus meinem Freundeskreis haben den Absprung geschafft, wieder andere nehmen es sich immer wieder vor, verzweifeln an dem, was sie jedes Wochenende sehen müssen.“
Aber warum schafft Tanja es nicht, sich zu lösen von dem Elend, wenn es ihr doch so offensichtlich nicht gut tut? „In schlechten Zeiten zu gehen, kann doch jeder. Das ist mir zu billig.“
So bleibt die Frage, ob es hehre Werte sind oder einfach nur die Sucht ist, die hier spricht. Für Tanja zumindest steht bis auf weiteres fest: „Nur der HSV!“
Leave a Reply